Unser Ultra-Marathon Debüt: Gemeinsam ans Limit

Christina & Stefan auf dem Weg zum Start beim Hollenmarsch 2023
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Ein Ultra-Marathon – das klang für uns wie eine unmögliche Herausforderung, eine Reise an die Grenzen von Körper und Geist. Wir, ein leidenschaftliches Läuferpaar, hatten schon viele Stunden auf den Trails verbracht, doch 100 Kilometer? Das war Neuland. Eine Strecke, die nicht nur körperliche Ausdauer, sondern auch mentale Stärke und Durchhaltevermögen abverlangt.

Wir nehmen euch mit auf unsere Reise, von der Entscheidung, uns dieser Mammutaufgabe zu stellen, über die monatelange Vorbereitung bis hin zum eigentlichen Lauf. Wir erzählen von den Höhen und Tiefen eines solchen Events, den unvergesslichen Momenten auf dem Trail und den wertvollen Lektionen, die wir gelernt haben. Begleitet uns auf diesem Abenteuer, das uns nicht nur an unsere physischen, sondern auch an unsere emotionalen Grenzen brachte.

Inhaltsverzeichnis


Die Entscheidung: Warum ein Ultra-Marathon?

Als ich das erste Mal von einem Ultra-Marathon hörte, hielt ich die Idee für eine verrückte Tortur. Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Marathon 2019. Bis dahin war das das Härteste, was ich sportlich je gemacht hatte. Mental wollte ich nicht zurück an diesen Ort.

Damals hatte ich mich ohne große Vorbereitung für einen Marathon angemeldet. Das Längste, das ich davor gelaufen bin, waren 15 km. Eine totale Fehleinschätzung meines jugendlichen Leichtsinns. Als ob das nicht genug war, musste ich mich auch noch in die Gruppe der 4:00-Läufer einsortieren. Es wurden am Ende 5:14 und mein Ego bekam einen guten Schlag ab, zumal mich kurz vor dem Ziel noch eine Mutter mit Kinderbuggy überholte.

Meine Partnerin Christina hatte sich schon eine Weile mit Ultra-Marathons beschäftigt und mir reichlich Material gegeben. Nun sitze ich zuhause und lese „Aufstieg der Ultraläufer„. Ich verstehe immer mehr die Faszination dahinter. Die anfängliche Angst verfliegt und ich gewöhne mich an den Gedanken. Die Herausforderung rief bereits nach uns beiden. Ein Event fanden wir schnell. Christina hatte lange ein paar Möglichkeiten im Auge und präsentierte mir den Hollenmarsch XL (101 Kilometer mit 1.600 Höhenmetern). Ob es wieder eine Selbstüberschätzung werden würde, stand wohl auf dem Prüfstand.

Höhenprofil des Hollenmarsch XL
Höhenprofil des Hollenmarsch XL (101 Kilometer)

Training & Vorbereitung: Fit für die 101 Kilometer

Ich wollte aus meinen Fehlern lernen. Nie wieder wollte ich unvorbereitet in ein Event starten. Also betrieben wir die notwendige Recherche und stellten einen Trainingsplan auf. Wie bereitet man sich auf solch ein Event vor? Man plant viel Zeit für lange Läufe am Wochenende ein. Das steht schonmal fest. Unsere wöchentliche Laufleistung erhöhten wir von 40 km auf 70 km, also fast das Doppelte.

Die Höhenmeter sollten auch nicht fehlen. Bei unseren Wochenendläufen bewegten wir uns meistens auf den lokalen „Bergen“ im Siebengebirge. 700 Höhenmeter auf 20 Kilometer waren keine Seltenheit. Unsere Krönung war ein Trail-Wochenende in Malmedy (Belgien) mit 74 km und 2.300 Hm in drei Tagen. Die gesamte Vorbereitung erstreckte sich über knapp 5 Monate, ein schmales Band, das auch noch von kleineren Rücksetzern heimgesucht werden sollte.

In den Trainingsläufen hat mein Knie immer wieder gestreikt, besonders bergauf. Der Schmerz war so scharf, dass es sich anfühlte, als könnten die Bänder jeden Moment reißen. Dehnübungen habe ich verzweifelt probiert, um das in den Griff zu bekommen. Mein Verdacht: ein klassisches Läufer-Knie. Als wäre das nicht genug, hat mich auch noch ein Schnupfen erwischt, den ich dann an Christina weitergegeben habe. Beide waren wir unsicher, ob ein Start überhaupt möglich sein würde.


Der Tag vor dem Lauf: Nervosität & Vorfreude

Unsere Anreise war glatt, nachdem wir uns einen Tag zuvor in einem nahegelegenen Ort niedergelassen hatten. Christina kämpfte noch mit den letzten Symptomen ihrer Erkältung und überlegte ernsthaft, nicht anzutreten. Wir beschlossen, bis zur letzten Minute vor dem Event abzuwarten, in der Hoffnung, dass eine gute Nachtruhe ihren Zustand verbessern könnte. Leider spielte das Schicksal nicht mit: Die Nacht war alles andere als erholsam, da sich unser Zimmer stark aufheizte und wir mehrmals aufwachten.

Frühmorgens klingelte der Wecker. Christina fühlte sich nicht schlechter, aber auch nicht besser. Wir beschlossen, es zu versuchen, mit dem klaren Plan, jederzeit abzuspringen, wenn nötig. Also, ab zum Start!

Schild zur Orientierung beim Hollenmarsch Ultra-Marathon 2023
Die Reise beginnt

Der Start: Aufbruch ins Ungewisse

Am Start überkam mich eine Mischung aus Nervenkitzel und Vorfreude. Wie würde das Event verlaufen? Würde ich den Lauf durchstehen? Wann würde die erste Herausforderung kommen, die ich meistern muss? Und hätte ich genug Kraft dafür? Diese Fragen wirbelten in meinem Kopf, bis der Startschuss fiel. Ab jetzt gab es keinen Platz mehr für Zweifel. Wir stellten uns am Ende des Feldes auf, eine Taktik, die wir oft bei unseren ersten Wettkampfteilnahmen gewählt hatten.

Schon im Training hatten wir unser Tempo festgelegt. Mit groben Zeitangaben im Kopf achteten wir darauf, nicht zu schnell loszulegen. Es dauerte nicht lange, bis wir unseren Rhythmus fanden. Die ersten 20 Kilometer vergingen wie im Flug. So befanden wir uns mitten in unserem allerersten Ultra-Marathon.


Halbzeit: Wendepunkt

Bei Kilometer 40 machte sich mein altbekanntes Läufer-Knie bemerkbar. Der stechende Schmerz wurde zunehmend intensiver. Der nächste Verpflegungspunkt bei Kilometer 50 markierte zugleich eine Wendemarke. Die Rennleitung bot den Läufern die Option, den Lauf auf 83 Kilometer zu verkürzen. Bald standen wir vor der Entscheidung. Christina hatte immer noch mit den Folgen ihrer Erkältung zu kämpfen.

Am Verpflegungspunkt nahmen wir uns kurz Zeit, die Lage zu evaluieren. Ein schmerzendes Knie, eine Erkältung – gegenüber 101 Kilometern. Manchmal muss man einsehen, dass die Herausforderung zu groß ist. Also entschieden wir, den Rückweg anzutreten. Es war eine schmerzhafte Entscheidung, aber das Beenden unseres ersten Ultra-Marathons stand im Vordergrund. Rückblickend betrachtet waren 83 Kilometer eine großartige Leistung, doch in diesem Moment fühlte es sich an, als hätten wir versagt. Wie sehr diese verbleibenden 30 Kilometer an mir zehren würden, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht erahnen.


Tortur: Kampf gegen sich selbst

Auf dem Rückweg, nur noch 30 Kilometer bis zum Ziel, stieg die Euphorie schnell an, nur um ebenso schnell wieder zu verfliegen. Mein Knie zwang mich dazu, jeden Anstieg mit Schmerzen zu bewältigen, was das Tempo drastisch verlangsamte und den Rückweg in die Länge zog. Zweifel nagten an mir, und innere Dialoge forderten mich auf, aufzugeben. Ich versuchte mir einzureden, dass es kein Problem sei, das Rennen zu beenden. Bis hierher war es schließlich eine solide Leistung gewesen.

Doch dann änderte sich die Stimmung schlagartig. Auch Christina bemerkte das und sprach mich darauf an. Sie bot sogar an, gemeinsam abzubrechen. Dieser Moment löste etwas in mir aus. Ich konnte mir klar vorstellen, wie es wäre, abgeholt zu werden – eine Vorstellung, die mich zerriss. Also stemmte ich mich gegen meine Zweifel. Ich musste mich mental wieder fangen. Es war Zeit, all die mentalen Tricks anzuwenden, über die ich mich vorher informiert hatte. Ich begann mit Affirmationen. Jeder Gedanke musste positiv sein. Christina spürte die Veränderung und unterstützte mich, indem sie immer wieder sagte: „Du schaffst das.“

Ich begann, Kilometer für Kilometer auf meiner Uhr zu zählen. Es war eine wahre mentale Tortur. Jeder Anstieg zwang mich zum Gehen. Das Anlaufen danach war jedes Mal eine Herausforderung. Ich versuchte mich immer wieder zu motivieren, selbst wenn es nur für ein paar Hundert Meter war. Mein Verstand tat alles, um mich zum Aufgeben zu bewegen. Es war erstaunlich, wie er in Momenten völliger Erschöpfung genau ausrechnete, wie lange es wohl noch bis zum Ziel dauern würde – eine Zeit, mit der ich mich einfach nicht anfreunden konnte. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit.


Endspurt: Die letzten Reserven

Also hangelten wir uns von Kilometer zu Kilometer, hauptsächlich durch meine Mühe. Etwa 5 Kilometer vor dem Ziel gab es einen weiteren Verpflegungspunkt. Bis dahin hatte ich nicht geschafft, mehr als einen Kilometer am Stück zu laufen, ohne längere Gehphasen einzulegen. Am Verpflegungspunkt angekommen, atmete ich tief durch. Ein Schild mit der Aufschrift „Noch 5 Kilometer bis zum Ziel“ sprang mir ins Auge. Zum ersten Mal auf der Strecke wurde das Ziel erwähnt. Etwas regte sich in mir. Die Vorstellung, dass es nur noch 5 Kilometer bis zum Ziel waren, motivierte mich enorm.

Ich erinnerte mich an eine Passage aus dem Buch „Can’t Hurt Me“ von David Goggins. Es ging darum, sich in Momenten die Frage zu stellen: „Was wäre, wenn…?“ Diese Frage soll einen dazu anregen, sich vorzustellen, dass man nicht nur das Ziel erreicht, sondern das scheinbar Unmögliche möglich macht, ohne sich selbst zu begrenzen. Für mich war klar, was das bedeutete: Laufe die letzten 5 Kilometer durch!

Christina und ich mobilisierten noch einmal all unsere Kräfte. Wir setzten zum Endspurt an. Die Strecke verlief von hier an leicht bergab, was eine willkommene Gelegenheit war, neue Energie zu schöpfen. Der erste Kilometer war geschafft. Normalerweise hätte ich hier meine Serie unterbrochen, aber nicht dieses Mal. Wenn ich jetzt das Tempo halten könnte, würde es einfacher werden. Und tatsächlich, die Kilometer vergingen gut. Wir liefen aus dem Wald heraus auf ein weites Feld. Dort, links von uns, lag Bödefeld. Das Ziel!

Der Zieleinlauf: Ein Moment für die Ewigkeit

Getragen von der Atmosphäre im Zentrum von Bödefeld vergaßen wir alle Mühen und Zweifel der letzten Stunden. Der Moment, als wir ins Ziel einliefen, war einfach grandios. Die Zuschauer jubelten uns zu. Ein Moderator verlas unsere Namen und die Distanz, die wir bewältigt hatten. Nach 10 Stunden und 46 Minuten waren wir endlich am Ziel angekommen. Die Erleichterung, stehen bleiben zu können, ohne gleich wieder loszulaufen, war eine wahre Wohltat. Wir hatten es wirklich geschafft!

Christina & Stefan im Ziel beim Hollenmarsch Ultra-Marathon 2023
Gemeinsam ins Ziel nach 83 Kilometern – Die Freude ist groß

Nachdem wir uns kurz im Ziel entspannt hatten und einen alkoholfreien Drink genossen hatten, machten wir uns auf den Weg zur Dusche. Es war erstaunlich, wie steif man innerhalb eines Tages werden kann. Das Entfernen des Drecks zwischen den Zehen war viel schwieriger als erwartet. Aber jetzt war Regeneration angesagt, vor allem Essen. Zuhause angekommen, gab es Pizza von unserer Lieblings-Pizzeria.

Das Event lag erst wenige Stunden zurück und langsam machte sich die Strapaze bemerkbar. Das Aufstehen von der Couch war nur noch unter Stöhnen möglich. Über Toilettenbesuche wollten wir gar nicht erst reden. Meine Lauf-Boxershorts waren wohl doch nicht so scheuerfrei, wie gedacht. Scheuerstellen hatten sich an ungünstigen Stellen gebildet. Wir würden die Anstrengungen noch einige Tage spüren.

Christina & Stefan geduscht nach dem Hollenmarsch Ultra-Marathon 2023
Die Erschöpfung tritt ein

Unser erster Ultra-Marathon, 83 Kilometer. Es war wirklich ein tolles Event. An diesem Tag waren nicht nur viele Läufer unterwegs, sondern auch unzählige Wanderer. Die Unterstützung an den Verpflegungspunkten war fantastisch. Ohne all diese Menschen wäre das Event bei weitem nicht so großartig gewesen. Die vollen 100 Kilometer stehen noch aus, daher habe ich definitiv noch eine Rechnung mit dieser Strecke offen. Wir werden sicherlich zurückkommen.


Zusammenfassung

Unser erster Ultra-Marathon über 83 Kilometer war eine wahre Herausforderung, die uns bis an unsere Grenzen geführt hat. Von der Entscheidung, uns dieser Mammutaufgabe zu stellen, über die intensiven Monate der Vorbereitung bis hin zum Durchhalten auf der Strecke – jede Etappe war ein Lehrstück in Ausdauer und mentaler Stärke. Trotz der Höhen und Tiefen während des Laufs haben wir unvergessliche Momente erlebt und wertvolle Lektionen gelernt.

Die Unterstützung der Mitläufer und Wanderer entlang der Route war dabei entscheidend und hat das Event zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht. Während wir die vollen 100 Kilometer noch vor uns haben, blicken wir bereits jetzt auf eine unvergessliche Erfahrung zurück und wissen, dass wir diese Strecke noch einmal angehen werden.



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